75 Jahre Pkw Diesel
Bei dem Gedanken an Mercedes und 125 Jahre Automobilgeschichte schweifen den meisten Menschen, Begriffe wie Carl Benz, Gottlieb Daimler oder Silberpfeil im Kopf herum. Doch eine der größten weltweiten Erfindungen ist der Dieselmotor, die Daimler zusammen mit Zulieferer Robert Bosch auf den Weg brachten. Bis in die 30er Jahre hinein waren die hoch verdichteten Dieseltriebwerke mit der Glühzündung nur in Nutzfahrzeugen, Lokomotiven und Schiffen verbaut. Mit dem dieselbetriebenen Mercedes 260 begann nicht nur für Daimler eine neue Ära im Automobilbau. Denn bis heute sind die Triebwerke mit Selbstzündertechnik beade bei den Pkw von zentraler Bedeutung. Die Gründe, ein Auto mit einem Dieselmotor zu kaufen, sind die gleichen wir vor 75 Jahren: niedrige Kraftstoffkosten und eine große Reichweite.
Seit den Beginn der 30er Jahre hatte die Entwicklungsabteilung von Daimler mit Hochdruck am Serieneinsatz eines Dieselmotors in einem Auto gearbeitet. Die ersten Versuche gab es im Jahr 1933, als ein 59 kW und 80 PS starker LKW-Sechszylinder in diversen Versuchswagen vom Typ Mannheim verbaut wurden. Doch die Schwingungen und starken Vibrationen des Reihenmotors sorgten für Rahmenbrüchen bei höheren Drehzahlen. Um die Entwicklungskosten in einen gewissen Rahmen zu halten, sollte die starke bauliche Anlehnung an LKW-Motoren jedoch weiter vorangetrieben werden. Um die lästigen und störenden Vibrationen zu minimieren wurde dem Sechszylinder-Dieselmotor einfach zwei Brennkammern abgeschnitten. Das kostete zwar etwas Leistung, jedoch machte das motorische Gesamtkonstrukt deutlich laufruhiger. Die Probeläufe verliefen einwandfrei.
Die nunmehr nur noch 2,6 Liter großen Vierzylinder-Diesel des Typs OM 138 wurden zu einem Großversuch in 170 Pullman-Landaulets vom Typ 230 eingebaut. Um die Alltagstauglichkeit im Betrieb auf der Straße testen zu können, sollten motorisierte Droschkenfahrer im Taxibetrieb zeigen, was das neue Antriebskonzept für Stärken und Schwächen hatte. Die Taxifahrer waren damit sehr zufrieden, somit begann am Ende des Jahres 1935 die Serienproduktion des 260 D. Die die den 260er das erste Mal fuhren, waren von der Fahrleistung und von den Verbrauch und der Reichweite sehr angetan. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 9,5 Liter Dieselöl reichte eine Tankfüllung für rund 400 Kilometer aus. Das schaffte kein Benziner der damaligen Zeit. Eine frühere Modellpflege brachte im Jahr 1937 eine Reihe von technischen und optischenVerbesserungen. Besonders der breitere Radstand und die Tankvergrößerung auf 50 Liter wurden von den Kunden recht positiv aufgenommen. Mit einem Verbrauch von nunmehr 9 Litern Diesel auf 100 Kilometer, im Vergleich zu den 13 bis 14 Litern der Benziner vom Typ Mercedes 200 erhöhte sich die Reichweite sogar auf bis zu 500 Kilometer. Der 260 D wurde zum sogenannten Kilometerfresser seiner Zeit. Nach kriegsbedingter Einstellung feierte die Dieseltechnik in Personenkraftwagen mit dem Mercedes 170 D, der Baureihe W 136 wieder ihre Auferstehung.
Nacht den heutigen Maßstäben zeigte sich der 33 kW und 45 PS starke Hecktriebler schon durch sein Gewicht von mehr als 2 Tonnen wenig dynamisch. Das sah in den 30er und 40er Jahren jedoch ganz anders aus. Der 2,6 Liter große Vierzylinder beschleunigte die Pullmann-Limousine auf bis zu 90 km/h. Während die frühen Modelle mit drei Gängen und einem zusätzlichen Autobahngang durch die Gegend fuhren, gab es bereits nach einigen Monaten Produktionszeit ein voll synchronisiertes Viergang-Getriebe. “Dieser Mercedes 260 D lief mehrere Jahrzehnte als Taxi in Berlin”, sagte Michael Plag, der Herr über die Schar der Oldtimer im Haus Daimler, “er dürfte mittlerweile 1,2 Millionen Kilometer gelaufen sein”.
Die 260er Modelle beherrschten durch die recht solide Technik bis weit in die 50er Jahre die Taxis in Berlin.
Der Oldtimerexperte Plag bewegt den 260er im dezenten Galopp mit Tempo 70 auf einer schwäbischen Landstraße. Die Windschutzscheibe ist leicht nach unten hin aufgeklappt und so kommt eine sommerliche Briese in das Volant. Eine Handvoll verchromter Schalter und Bedienelemente verbreitet unweigerlich den Charme der 30er Jahre.
Der Veigel Tacho zeigt sein Ende erst bei 120 km/h, eine nicht zu erreichende Geschwindigkeit für den Fahrer des 260 D. Die Uhr als eine der drei Analoganzeigen ist eines Tages um kurz nach halb zwölf Uhr stehengeblieben. Doch der Rest des mittlerweile 75 Jahre alten Mercedes 260 Diesel funktioniert noch wie am ersten Tag. Gestartet wird elektrisch. Die Öffnung der Starterkurbel am Fuße des mächtigen Kühlergrills ist mit einer Chromplakette verziert.
Auch bei den Fahrgästen im Fond kamen die 260 D-Modelle sehr gut an. Das Platzangebot in der langen Pullman Version ist auch unter heutigen Gesichtspunkten eindrucksvoll. Bequeme Sofasitze lassen einen alles um sich rundherum vergessen. Vom dunklen Volant trennt die Fondinsassen eine Scheibe. Während sich der Chauffeur und ein Beifahrer in beengten Platzverhältnissen auf schweißtreibenden Kunstledersitzen betten mussten, gefällt der weiche Flockvelours in der zweiten Reihe schon viel besser. Der Fahrkomfort war und ist noch immer sehr eindrucksvoll. Alle vier Räder haben nicht nurhydraulisch betätigte Trommelbremsen, sondern sind auch einzeln aufgehängt (Einzelradaufhängung), hinten an der Pendelachse mit Schraubfedern, vorn an zwei quer eingebauten Blattfedern.
Während es das Modell Mercedes 260 D nicht mehr gibt, geht es der Dieseltechnik noch immer sehr gut. Bis heute sind Autos mit Dieselmotoren von den Straßen kaum mehr wegzudenken. Während sich Privatkunden in Asien oder USA kaum für die Selbstzündertechnik begeistern, steht diese insbesondere bei Kunden in Zentral- und Südeuropa sehr hoch im Kurs. Autos ab der Mittelklasse haben oft einen Dieselanteil von über 50 Prozent. Das dürfte sich zumindest auch in den höheren Fahrzeugklassen in absehbarer Zeit auch nicht wirklich mehr ändern.